Besessenheit

Besessenheit

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Be|sẹs|sen|heit 〈f. 20; unz.〉
1. das Besessensein (von etwas), Wahn, Geistesstörung
2. 〈fig.〉 schwärmer. Begeisterung, leidenschaftl. Drang

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Be|sẹs|sen|heit, die; -:
das ↑ Besessensein (a, b).

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I
Besessenheit,
 
ausgeprägter psychophysischer Erregungszustand. Er wird in der Religionswissenschaft als der Zustand bezeichnet, der als Inbesitznahme (griechisch katokoche, lateinisch possessio, deutsche Lehnübersetzung »Besessenheit«) der betroffenen Person durch einen Gott, Dämon oder Geist gedeutet wird. Die Verhaltensänderungen der besessenen Person werden somit auf das Eindringen eines fremden Geistwesens zurückgeführt; von der religiösen Wertung des betreffenden Geistwesens hängt die Bewertung der Besessenheit ab: als durch Kultakte (Exorzismus) zu beseitigender Zustand oder als Zustand der »Gottesfülle« (Enthusiasmus). Der der Besessenheit korrespondierende Zustand des »Außer-sich-Seins« wird mit Ekstase bezeichnet; auffallende Zustandsveränderungen einer Person werden hier als ein Verlassen des Körpers durch die »Seele« gedeutet. Als Kennzeichen des Zustandes der Besessenheit werden z. B. Veränderungen der Mimik, der Sprechweise, persönlichkeitsfremd scheinendes Verhalten (z. B. Umsichschlagen) angesehen. Der Besessene ist meist in Trance und sich seines Zustandes nicht bewusst, kann seine Besessenheit jedoch auch in einer Art Doppelbewusstsein als vermeintliches Wirken eines fremden Geistes in ihm erleben (luzide Besessenheit).
 
In Europa wurden in der Volksmedizin bis ins 19. Jahrhundert physische und psychische Krankheiten, besonders epileptische und hysterische Anfallsleiden, auf Besessenheit des Kranken durch einen bösen Dämon zurückgeführt. Zur Heilung von Besessenheit sollten Exorzismen, d. h. Geisteraustreibung, z. B. durch Aderlass, Lärm oder durch die Übertragung auf ein anderes Lebewesen, z. B. ein Tier, dienen. - Im ausgehenden Mittelalter gewann der Besessenheitsglaube, zum Teil mit dem Teufels- und Hexenglauben verbunden, Verbreitung. - Noch bis in die Gegenwart finden sich Exorzismen als Austreibungen eines Krankheitsdämons im Heilungsritual einiger traditioneller (z. B. afrikanischer) Kulturen.
 
In Religionen, in deren Mittelpunkt der Glaube an die Existenz von Geistern Verstorbener steht und die vom europäischen Spiritismus beeinflusst sind (v. a. in der brasilianischen Umbanda), wird Besessenheit von dazu ausgebildeten Medien kultisch bewirkt und beendet, wobei die Menschen mit den in den Medien anwesenden Geistern kommunizieren. Im Christentum wurden verschiedene Krankheitsbilder und Erregungszustände unter Berufung auf neutestamentlichen Berichte (Markus 3, 20-30; 5, 1-20; 9, 14-29 u. a.) als Besessenheit aufgefasst, ihre Heilung dementsprechend als Austreibung von Dämonen. Aus der auch den Jüngern gegebenen Vollmacht, Besessene durch Dämonenaustreibung zu heilen (Markus 3, 15; Lukas 10, 17-20), haben später die christlichen Kirchen ihrerseits eine Vollmacht zum Exorzismus abgeleitet. In der katholischen Kirche wurde dessen auch heute noch grundsätzlich mögliche Ausübung an strenge Prüfung und ausdrückliche Erlaubnis des Bischofs gebunden (Canon 1172 des Codex Iuris Canonici von 1983).
 
 
Trance and possession states, hg. v. R. H. Prince (Montreal 1968);
 B. Heintze: B.-Phänomene im mittleren Bantu-Gebiet (1970);
 W. M. Pfeiffer: Transkulturelle Psychiatrie (1971);
 
Teufelsglaube, hg. v. H. Haag (1974);
 M. Eliade: Schamanismus u. archaische Ekstasetechnik (a. d. Frz., 1975).
II
Besessenheit,
 
Als Besessenheit wird nicht selten die Erscheinung eingeschränkter oder gestörter psychischer Funktionen eines Menschen bezeichnet, die in religiösen Vorstellungen als »Ergriffensein« von einem Dämon oder Teufel beziehungsweise einer dämonischen Macht verstanden wird. Es handelt sich dabei jedoch um seelische Erkrankungen (besonders um Anfallserkrankungen wie Epilepsie), die medikamentös und/oder psychotherapeutisch zu behandeln sind, keinesfalls aber durch Exorzismus (»Austreibung« des Dämons durch rituelle Beschwörungen) und andere obskure Methoden »geheilt« werden können.

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Be|sẹs|sen|heit, die; -: das Besessensein (a, b).

Universal-Lexikon. 2012.

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